Jost Braun
Texte zum Werk

Gunter Ziller: Der lithographische Ratio-Wurm

Der lithographische Ratio-Wurm

Da bringt in einer Blitzaktion der lithographische Adept des Meisters Tübke zwei Solnhofener Schiefer aus dem faustischen Leipzig ins höfisch-barocke Dresden gefahren, um sie in entspannter Atmosphäre persönlicher Sympathien mit drei Dresdner Künstlerfreunden zur originalgraphischen Veredlung seiner “14. Jahresschrift für Künstlerbücher und Handpressendrucke“ auf den Spuren des vom Schauspieler und Schriftsteller zum Drucker und Erfinder mutierten Aloys Senefelder zu erhöhen.

Jost Braun, für den wie für Erhart Kästner originalgraphische Bücher sowohl magische Medien als auch kryptische Refugien sind, sagt immer: “„Man müßte ein Fernglas haben! Aber wer soll das tragen?“ Der verkürzte erkenntnistheoretische Limerick modifiziert die Sehnsucht der Enzyklopädisten nach umfassender Erkenntnis. Aber er hilft auch, den Spritzer der Tusche, den Fliegenschiß zur emporfliegenden Hornisse, zum holzfressenden Bock-Käfer zu verwandeln.

Petra Kastens minimalistische Realitäten von Hase & Hund, Muster & Struktur, Messer & Schuh beschwören den Mythos organischer Strukturen, die Biorhythmen der Zivilisation in der chemischen Verfremdung unserer Zeit. Hase, Messer, Hund und Schuh, Muster. Wetter, Struktur und Wald mutieren zu nachgeborenen Pop-Ikonen der Post-Post-Post-Moderne. Zusammen mit Lutz Fleischer und Andreas Hegewald gründete sie 1983 in Dresden den Leitwolfverlag und geriet so auch ins Magnetfeld der Buchmetropole.

Volker Lenkeit, als maßgeblicher Betreiber der lithographischen Werkstatt in der Loschwitzer “Alten Feuerwache“ sozusagen Gastgeber am Ort dieser Blitzaktion, überlagert fragmentarische Realitätszitate mit geometrischen Ursymbolen als Synonyme des Abstraktionsvermögens und damit der geistigen Kraft des Menschen. Das Studium der Mythen der Menschheit als Vorstufen ihrer Religionen, welche ebendiese Mythen als Bestandteile ihrer selbst konservieren, hat ihn zum Kritiker dieser Religionen werden lassen.
Und Stefan Voigt schließlich, der “Gespiele des Mysteriums“, wie ihn sein Textautor Bruno Kunter einmal nannte, wandelt paläontologisch auf dem letzten Grat des Rationalen im Grenzbereich zwischen der Metamorphose der Dinge und Lebewesen und der Metempsychose der Seelen und Astralleiber. Die “Übergängerei“ als Wissenschaft leuchtet transzendental und existentialistisch.

Nach eineinhalb Stunden war die Aktion beendet, ein Ergebnis erreicht, die Leipziger Edition Lebensretter, der Leitwolf-Verlag und die Loschwitzer “Feuerwachen-Presse“ begegneten in der Loschwitzer galerie am blauen wunder der Chemnitzer “Agentur für Gestaltung und Gegenteil“ in Person von Osmar Osten anläßlich dessen Ausstellungseröffnung sowie dem Autor dieser Zeilen. Somit waren wenigstens kurzzeitig wenige Exponenten der drei sächsischen Zentren vereint, die doch inzwischen weiter voneinander entfernt sind als Paris und New York.

In der Folge wurden die Steine zum Druck bei Christian Müller in Großpösna nach Leipzig gefahren, zum Signieren der Blätter diese wieder nach Dresden und zum Einbinden in die Jahresschriften retour nach Leipzig, einige der Schriften als Belege zurück nach Dresden, der Rest auf die Messen in Leipzig und Frankfurt. Sächsische Kunst rotiert …

Gunter Ziller




Jost A. Braun: Huiiih; Steindruck

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