Jost Braun
Texte zum Werk

Peter Guth: Auf der Suche nach dem Bild von unserer Zeit

Auf der Suche nach dem Bild von unserer Zeit

Kunst kennt keine Entschuldigungen. Weder die gute Absicht noch das ehrliche Herz eines Fragenden allein werden honoriert. Für den Betrachter zählt einzig das fertige Bild und die Feststellung, in welcher Qualität positives Wollen, Sujet, formale und inhaltliche Komponenten in ihm aufgehoben sind. Es wird heute mehr und mehr zur Gepflogenheit, daß bereits Studenten anspruchsvolle Ausstellungen mit ihren Arbeiten veranstalten. Dazu gehört ein gerüttelt Maß an Selbstbewußtsein, wenn nicht sogar der zwielichtige Mut zur Selbstüberschätzung. In vielen dieser Fälle läßt sich eines mit Bestimmtheit sagen: Der Versuch, Bilder von unserer Welt zu schaffen, scheitert bei jungen, unerfahrenen Künstlern oft sowohl an der mangelnden Fähigkeit, wesentliche Seiten der Wirklichkeit aufzuspüren, als auch am ungenügenden Vermögen, die gewählten Wirklichkeitsausschnitte denkerisch zu durchdringen.
Jost Braun (Jahrgang 1953) gehört zu einer Generation, für die das Studium noch nicht lange Vergangenheit ist, die damit auch über keine langjährige Praxis in der künstlerischen Arbeit verfügt. Trotzdem braucht der noch nicht Dreißigjährige das Anlegen kompromißloser Maßstäbe nicht zu fürchten. Gerade die Qualität seines Sehens und Denkens und, was für die Kunst am wichtigsten ist, deren Übertragung ins Bild, unterscheiden ihn deutlich von manchem Altersgenossen. Freilich, es ist anzumerken, daß es sich hier um eine momentane, nicht endgültige Qualität handelt. In neuen Arbeiten deuten sich inhaltliche und gestalterische Wandlungen und Entwicklungen bereits an. Für Jost Braun ist der Ausgangspunkt künstlerischer Äußerungen zunächst die sichtbare Realität. Ihre Wiedergabe erfolgt wirklichkeitsnah, erkenn- und entschlüsselbar, ohne Rückgriff jedoch auf Naturalismen und fotografisch genaue Abschilderungen. Dennoch gerät dieses Abbild in gewisser Weise exakter als ein Foto. Die Ursache dafür liegt darin, daß die Wirklichkeitsausschnitte bewußt gewählt beziehungsweise aus dem Erlebnisvorrat an Bildern herausgefiltert werden. Was da als Bildgegenstand erscheint, entspringt eigener Anschauung, ist Gedankennotiz von der Welt gleichermaßen wie Beglaubigung des schon einmal Gesehenen in neuer Form. In dieser ersten Arbeitsphase spielt, bei aller bewußten Gegenstandsbestimmung, das Gefallen am Augenblick, die Begeisterung an der spontanen Entdeckung eine große Rolle. Unter diesem Blickwinkel finden die Liebe zur Landschaft, die Wahrnehmung innerer Beziehungen zu einem Porträtierten und das Interesse an der Begegnung mit bekannten und unbekannten Menschen - all dies in jeweils konkreten Situationen - relativ unmittelbaren Eingang in die vorgedachte Bildkomposition. Nun folgt ein zweiter Schritt: Die Objektivierung des Gesehenen, d. h. Unwesentliches wird fortgelassen, Wichtiges wird betont. Hier liegt bereits eine Ursache für Brauns klare Bildsprache, für seine niemals überladenen Räume. Schließlich ein dritter Schritt: Jost Braun stellt in vielen seiner Bilder eine Synthese von Natur- und Kunstform her. Dabei werden Gegenstände in das Bild eingefügt, die zwar unserer Realität entstammen, in der Art der Kombination jedoch verblüffende Effekte erzielen. Plötzlich begegnen uns Vogelkäfige an Bäumen, Ikarus, der in einer bekannten Parklandschaft die Flügel probiert, das alte, einen Kontrabaß tragende Ehepaar in einer Gebirgswelt. Auf den ersten Blick könnte diese Methode an die Verfahrensweise der Surrealisten erinnern. Aber ihnen ging es ja um die "Annäherung von zwei mehr oder weniger entfernten Wirklichkeiten" (Reverdy), etwa im Sinne der "zufälligen Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch" (Lautréamont). Speziell diese Absurdität strebt Braun nicht an. Ihm geht es um ein faßlich realistisches Bild, in dem die Symbole die Aussage erweitern und die Denkrichtung markieren sollen. Besonders deutlich wird das Bemühen um Nachvollziehbarkeit der Bildfindung im Porträtschaffen. Die ausführlich gearbeitete Figur wird einer strengen zweiten Form (einer Ziegelwand oder einem kargen Atelierhintergrund) entgegengesetzt. Aus diesem doppelten Bezug zur Realität, einer stark durchgestalteten und einer sparsam geformten; erwächst die eigentliche Spannung. Jost Braun liebt die scharfe Kontur, ein klares, nur selten diffuses Licht in seinen Arbeiten. Dies sind Elemente, die wir von der Malerei der Neuen Sachlichkeit kennen, einer Stilrichtung, mit der ihn sonst wenig verbindet. Denn Braun - und hier erweist er sich als Meisterschüler Werner Tübkes - braucht und befördert eine schwebende Sinnlichkeit, obschon sich diese nicht expressiv, sondern stark geformt und diszipliniert äußert. Wie bei seinem Lehrer ist auch bei Braun die Suche nach einer idealen und harmonischen Welt stets gegenwärtig, wobei - es ist an dieser Stelle interessant, darauf hinzuweisen, daß Tübke von der jungen Malergeneration bereits als fester Bestandteil der Kunstgeschichte rezipiert wird - dessen zeitchronistischer Zug für Braun offensichtlich nicht die gleiche Bedeutung hat, wie seine zeichnerisch Brillanz und die Betonung menschlicher Beziehungen. Jost Brauns Bild von der Welt meint nicht vordergründig deren Lob oder Tadel. Ohne sich von moralischer Verantwortlichkeit freizusprechen, verzichtet er doch nicht, damit ein Vorrecht der Jugend wahrnehmend, auf die Attitüde des romantischen Helden, der die Welt vollständig, auch den Einbruch einer nicht immer harmonisch-stimmigen Wirklichkeit, bejaht, sie aber gleichermaßen träumerisch-visionär verschönt. Und hier liegt möglicherweise ein - für die Zukunft durchaus produktiver - Widerspruch: Er spiegelt mit realistischen Mitteln unsere Wirklichkeit in ihrer gedanklichen und sinnlichen Vielfalt, aber auch in ihrer Gegensätzlichkeit wider und bleibt doch gleichzeitig stets für den Traum von einem unberührten, strahlend schönen Arkadien empfänglich.

Peter Guth




Jost A. Braun: Musikanten im Gebirge; Oel/Hartfaser

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